Am 4. Januar erschien in der Böhme-Zeitung unter dem Titel „Größtes Wolfsrudel an der Örtze“ ein Artikel von Bernhard Knapstein, in dem sich der Kreisjägermeister Thomas Brammer zu der Wolfspopulation im Heidekreis äußert und ein Bestandsmanagement mit festgelegten Quoten fordert. Angesichts der Fülle an Fehlinformation und unhaltbaren Spekulationen haben wir uns entschlossen, folgenden Brief an die Redaktion zu schicken:
Sehr geehrter Herr Knapstein, sehr geehrte Redaktion, ich habe lange hin- und herüberlegt, ob ich zu dem oben genannten Artikel einen Leserbrief oder eine Pressemitteilung schreiben soll und mich letztlich für einen Brief an die Redaktion entschieden, auch wenn es mühsam ist, immer wieder Mutmaßungen zu hinterfragen und unhaltbare Aussagen zu widerlegen. Ich hoffe, dass Sie sich die Zeit nehmen, ihn trotz seiner Länge zu lesen, zu diskutieren und ihn - in welcher Form auch immer - in Ihre redaktionelle Arbeit einfließen zu lassen. Für Rückfragen zum Inhalt oder zu Quellenangaben stehe ich gerne zur Verfügung.
Zum Schutzstatus: Der Schutzstatus Wolfes in der EU wurde nicht, wie am Anfang Ihres Artikels behauptet, geändert, sondern mit dem Beschluss des Ständigen Ausschusses des Berner Übereinkommens vom 3. Dezember ein erster Schritt in diese Richtung getan. Durch die auf einen Vorschlag der EU-Kommission zurückgehende Änderung des Schutzstatus von "streng geschützt" auf "geschützt" in der Berner Konvention hat die EU nach Inkrafttreten der Änderung am 7. März die Möglichkeit, den Wolf von Anhang IV in Anhang V zu überführen. Da hierfür nach Artikel 19 der FFH-Richtlinie ein einstimmiger Beschluss des EU-Rates notwendig ist, ist es keineswegs sicher, dass der Schutzstatus des Wolfes innerhalb der EU-Gesetzgebung tatsächlich abgesenkt wird, zumal inzwischen fünf Umwelt- und Tierschutzorganisationen aus verschiedenen europäischen Ländern eine Beschwerde beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eingelegt haben. Sie bekommen Rückendeckung von mehr als 700 Fachleuten der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft sowie der Large Carnivore Initiative for Europe, der renommierten Fachgruppe für große Beutegreifer im IUCN (International Union for Conservation of Nature), die sich im Vorfeld der Abstimmung im Ständigen Ausschuss der Berner Konvention einhellig gegen eine Absenkung des Schutzstatus stark gemacht hatten.
Zum regionalen Bestandsmanagement: Seit Jahren fordern Jagd- und Nutztierhalterverbände ungeachtet der rechtlichen Lage ein regionales Bestandsmanagement mit regulären Jagdzeiten und festgelegten Quoten. Dass diese Forderung auch dann nicht umgesetzt werden kann, wenn der Schutzstatus des Wolfes in der EU herabgesetzt werden sollte, geht aus dem Urteil des EuGH vom 29. Juli 2024 (C-436/22) hervor. In dem so genannten "Spanienurteil" stellt der EuGH klar, dass auch im Anhang V gelistete Arten nur dann bejagt werden dürfen, wenn ihr Erhaltungszustand sowohl auf lokaler und nationaler Ebene als auch innerhalb der biogeografischen Region auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten als "gut" zu bewerten ist. Da diese Voraussetzungen auch hierzulande noch lange nicht erfüllt sind, sind die Forderungen nach einem regionalen Bestandsmanagement rein populistischer Natur und suggerieren Weidetierhaltenden darüber hinaus die falsche Annahme, eine Bejagung würde ihre Probleme lösen. Wie die in der Zeitschrift Global Ecology and Conservation erschienene Auswertung von 19 amerikanischen und europäischen Studien zeigt (Bruns et al. 2020), ist die letale Kontrolle (Tötung) von allen aktiven und passiven Maßnahmen zum Schutz von Nutztieren am ineffektivsten, während wolfsabweisende Zäune neben dem Einsatz von Herdenschutzhunden und der – sehr aufwändigen und hierzulande nicht praktizierten – Abschreckung durch Schockhalsbänder am erfolgversprechendsten sind. Eine Wolfsregulierung würde also nicht zu dem versprochenen Ergebnis führen und kann sogar, wenn Rudelstrukturen durch Abschüsse zerstört werden, mehr Risse nach sich ziehen, weil führerlose Jungwölfe risikofreudig übergriffiger werden. Bei vielen Nutztierhaltenden würden sich Frustration, Enttäuschung, Wut und Politikverdrossenheit weiter erhöhen. Mensch-Tier-Konflikte löst man nicht mit der Waffe, sondern mit Fachkenntnis, Aufklärung und Unterstützung Betroffener. Der Ausbau, die unbürokratische Förderung und die konsequente Weiterentwicklung von Herdenschutzmaßnahmen sind daher das Gebot der Stunde.
Zur Wolfspopulation im Heidekreis: Visselhövede und Fintel liegen im LK Rotenburg, Rodewald im LK Nienburg, Bergen im LK Celle und Hanstedt im LK Harburg. Es gehört zu den Grundsätzen eines wissenschaftsbasierten Monitorings, dass Wolfsrudel grundsätzlich nur einmal gezählt werden, und zwar dort, wo sich das Kerngebiet ihres Territoriums befindet (Landkreis, Bundesland, Staat). Abweichungen von diesem Standard führen zu Doppel- und Dreifachzählungen und dienen offenbar dazu, Forderungen nach Bestandsregulierung zu legitimieren und Angst in der Bevölkerung zu schüren. Laut Wolfsmonitoring der Landesjägerschaft gibt es im Heidekreis fünf Wolfsrudel, ein seit zwei Jahren nicht mehr reproduzierendes Wolfspaar im Ostenholzer Moor und einen residenten Einzelwolf bei Walsrode. Mit Ausnahme des Einzelwolfes und dem - für das laufende Monitoringjahr noch nicht bestätigten - Rudel Schwarmstedt leben die Rudel Munster, Soltau, Schneverdingen und Wietzendorf in Territorien, die seit vielen Jahren (5-13) Jahren besetzt sind. Diese Tatsachen zeigen, dass die geeignetsten Bereiche seit langem besetzt und die vorhandenen natürlichen Kapazitäten weitgehend ausgereizt sind. Verschiebungen oder Verlagerungen kommen vor, auch ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Territorien bei entsprechendem Nahrungsangebot verkleinern und sich so ein weiteres Rudel etablieren kann. Völlig aus der Luft gegriffen ist indes die Behauptung, die Territorien hätten sich auf zwei- bis dreitausend Hektar verkleinert. Das entspräche in etwa der Reviergröße eines Fuchses und eines Wildkatzenkuders, die sich bekanntlich hauptsächlich von Mäusen ernähren. Wolfsterritorien unter 100 qkm sind eine Ausnahmeerscheinung. Auch gibt es keinerlei Nachweise für die Behauptung des Kreisjägermeisters, dass allein auf dem Truppenübungsplatz Munster drei Rudel mit insgesamt 30 Mitgliedern leben und nicht - wie im Wolfsmonitoring dargestellt - ein Rudel mit 17 Mitgliedern. In der Tat hat es 2017 neben dem Rudel Munster das Rudel Bispingen/Munster gegeben, dessen Mutterfähe im Juli bei einem Verkehrsunfall bei Hützel getötet wurde, doch konnten sich in dem Territorium anschließend keine anderen Wölfe etablieren. Ein 17-köpfiges Rudel ist zwar selten, aber bei zwei großen Würfen in Folge in Kombination mit einem späten Abwandern der Jährlinge nicht ausgeschlossen. Es ist Aufgabe des Wolfsmonitorings, mittels Fotofallen und DNA-Analysen die Anzahl und Zusammensetzung der Rudel zu erfassen. Wenn, wie Herr Brammer uns glauben machen will, die Anzahl der Rudel in unserem Landkreis drei- bis viermal so hoch ist wie offiziell angegeben, dann müsste die logische Konsequenz sein, das Monitoring der Landesjägerschaft aufgrund erwiesener Inkompetenz umgehend zu entziehen.
Zu den Nutztierrissen: Im Jahr 2022 hat es im Landkreis fünfzehn, 2023 elf und 2024 neun Nutztierrisse gegeben, bei denen insgesamt 38, 34 und zuletzt 17 Tiere getötet wurden. In den meisten Fällen waren die Weidetiere gar nicht oder nur unzureichend geschützt. Obwohl es in Sachen Herdenschutz folglich durchaus noch Luft nach oben gibt, sind die Nutztierschäden im Heidekreis seit Jahren sehr gering und der Anteil der Nutztiere an der Gesamtnahrung der Wölfe dürfte noch unter dem in einer umfassenden Untersuchung von 2021 ermittelten Bundesdurchschnitt von 1,6% liegen.
Fazit: In unserem Landkreis lebt eine stabile, in jeder Hinsicht unauffällige Wolfspopulation, deren Größe durch natürliche Regulationsmechanismen begrenzt wird. Die Wölfe leben ein ganz normales Wolfsleben und sorgen nebenbei für einen gesunden Wildbestand, weil sie vor allem kranke und geschwächte Beutetiere angreifen, sie durchbrechen Infektionsketten (Afrikanische Schweinepest, Blauzungenkrankheit u.a.) und reduzieren Verbissschäden, indem sie die Bestände des Schalenwildes reduzieren und deren Raumnutzungsverhalten beeinflussen. Gleichzeitig versucht eine kleine Gruppe lautstarker Akteure aus dem Kreis der Jäger- und Landwirtschaft seit langem, den Rest der Bevölkerung durch Dramatisierung, Emotionalisierung und die Verbreitung von Halb- und Unwahrheiten vom Gegenteil zu überzeugen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. Niemand aus dieser Gruppe hat bislang eine plausible und fachlich fundierte Antwort auf die Frage gegeben, warum welche Wölfe im Heidekreis getötet werden sollen. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Thema Wolf als Nebenkriegsschauplatz nach allen Regeln der Kunst ausgeweidet wird, um davon abzulenken, was uns wirklich alle gerade Kopf und Kragen kostet: Der Klimawandel und der Verlust der Biodiversität, die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen durch Übernutzung, industrielle Landwirtschaft, Gifte, Plastik und nicht beherrschbare Technologien, sowie Hunger, Armut, Machtmissbrauch und Kriege auf dem gesamten Erdball. Wir stehen an einem Scheideweg: Wollen wir mit einem WEITER SO unser aller Grab schaufeln oder wollen wir, dass anstelle von Ausbeutung, Gier, Macht und Angst Gemeinschaft, Mitgefühl, Wertschätzung und Achtung vor allem Leben regieren?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Antje Oldenburg
Pressesprecherin Naturschutzbund Heidekreis e.V. (NABU)