Pressemitteilung - Juli 2024

Panikmache und Aktionismus

NABU Heidekreis rät zu achtsamem Umgang mit Jakobskreuzkraut

Bunte Insektenvielfalt (Foto: NABU Heidekreis)
Bunte Insektenvielfalt (Foto: NABU Heidekreis)

Toll- und Traubenkirsche, Eisen- und Fingerhut, Hasen- und Maiglöckchen, Wolfsmilch,  Hahnenfuß, Immergrün, Eibe, Ilex. In Mitteleuropa gibt es rund 50 giftige Pflanzenfamilien, deren Inhaltsstoffe Menschen und Tiere in unterschiedlichem Maße beeinträchtigen können. Manchmal ist das gesamte Gewächs giftig, manchmal sind es einzelne Pflanzenteile wie Blüten, Samen oder Früchte, die bei Berührung oder Verzehr in Abhängigkeit von der Menge des aufgenommenen Giftstoffes und der Konstitution des Individuums zu Hautreizungen, Ausschlägen, Verbrennungen, Krämpfen, Magen-Darm- oder Herz-Kreislaufbeschwerden führen können. Insbesondere zur Abwehr von Fressfeinden setzen viele Giftpflanzen eine auffällige Färbung oder einen unangenehmen Geschmack als Warnsignal ein. So auch das zur Gattung der Greiskräuter gehörende Jakobskreuzkraut, das in verschiedenen Pflanzengesellschaften und Lebensraumtypen vorkommt und aufgrund seines bitteren Geschmacks von Weide- und Wildtieren gemieden wird. Da sich die Bitterstoffe nach dem Absterben der Pflanze verlieren, während die giftigen Pyrrolizidinalkaloide erhalten bleiben, stellt es in Heu und Silage eine ernst zu nehmende Gefahr dar: Nehmen Pferde und Wiederkäuer den Giftstoff über einen längeren Zeitraum in größeren Mengen auf, kommt es zu einer Schädigung der Leberzellen, die zur Erkrankung und schlimmstenfalls zum Tod der Tiere führen kann. 

 

„Auch wenn Vergiftungsfälle selten sind, ist es zweifellos richtig und wichtig, die Ausbreitung von Jakobskreuzkraut auf Weiden und Flächen zur Gras- und Heugewinnung einzudämmen, eine flächendeckende Bekämpfung halten wir jedoch für kontraproduktiv, weil massive Eingriffe in ökologische Kreisläufe und Netzwerke erfahrungsgemäß mehr Probleme schaffen als lösen“, sagt die Pressesprecherin des NABU Heidekreis, Dr. Antje Oldenburg. Jakobskreuzkraut ist kein Neophyt, sondern eine heimische Pflanze, die basenreiche Böden in offenen Bereichen besiedelt und besonders auf Brachen und extensiv genutzten Weiden, Trockenwald-Säumen, Wegrainen, Straßenrändern und Bahndämmen vorkommt. Sie ist Teil der biologischen Vielfalt und dient bis zu 200 verschiedenen Insektenarten als Futterpflanze. Besonders beliebt sind die leuchtend gelben Blüten bei Wildbienen, Weichkäfern, Fliegen, Schwebfliegen und verschiedenen Schmetterlingen. Absolut überlebenswichtig ist das Jakobskreuzkraut für den in Niedersachsen stark gefährdeten Blutbären, einer kleinen, schwarz-rot gefärbten Nachtfalterart, deren gelb-schwarz geringelte Raupen sich ausschließlich von Greiskräutern ernähren und sich durch Anreicherung der für sie ungefährlichen Pyrrolizidinalkaloide selbst vor hungrigen Vögeln und anderen Fressfeinden schützen. Die gesellig lebenden Raupen können die Pflanze durch Kahlfraß stark schädigen, was im Laufe der Jahre zu einer Zunahme der Schmetterlings- und einer Abnahme der Greiskrautpopulation führt, bis die Nahrung so knapp wird, dass der Blutbär wieder weniger wird und sich in der Folge das Jakobskreuzkraut erneut ausbreiten kann. 

 

Eine radikale Bekämpfung des Jakobskreuzkrauts stellt jedoch nicht nur eine Bedrohung für seinen gesetzlich geschützten Gegenspieler dar, sondern führt zwangsläufig zu weiteren Biodiversitätsverlusten in der ohnehin schon immer artenärmer werdenden Agrarlandschaft. Durch das Mähen und Mulchen von Weg- und Straßenrändern oder gar von Stilllegungs- und Naturschutzflächen werden Myriaden von Wirbellosen getötet, Säugetiere verlieren ihre Deckung, Wildbienen, Hummeln, Wespen, Schwebfliegen, Tag- und Nachtfalter sowie andere Insekten ihre Nahrungsgrundlage. Da Wildkräuter wie Schafgarbe, Rainfarn, Wilde Möhre, Kratzdistel oder Karde keine Samen ausbilden können, leiden in der Folge sowohl insekten- als auch samenfressende Vogelarten unter dem blinden Aktionismus, der durch mediale Panikmache befeuert wird. 

 

Man fühlt sich ein wenig an die chinesische Spatzentötungskampagne unter Mao erinnert: 1958 befiehlt Mao eine besonders abstruse Aktion: Er will Ernteausfälle bekämpfen und ruft zum Krieg gegen Spatzen auf, die angeblich zu viel Getreide vertilgen. 600 Millionen Chinesen müssen gegen den gefiederten Volksfeind antreten. Sie veranstalten einen infernalischen Lärm, um die sensiblen Vögel so zu ängstigen, dass sie nur noch in der Luft umherschwirren, bis sie schließlich erschöpft oder tot zu Boden fallen. Am Ende haben die Chinesen an die zwei Milliarden Tiere erschlagen. Die Folge ist eine ökologische und humanitäre Katastrophe, denn Maos Spatzenkrieg gerät zum Desaster: Die Ernteausfälle steigen dramatisch an, eine große Hungersnot beginnt. Kein Wunder: Fressen doch Spatzen sehr gerne Getreideschädlinge! In diesem Sinne plädiert der Naturschutzbund daher eindringlich für einen rationalen Umgang mit Jakobskreuzkraut und schließt sich der Auffassung der Fachbehörde an, die aus naturschutzfachlicher Sicht keinerlei Veranlassung sieht, die Pflanze auf nicht landwirtschaftlich genutzten Flächen zu beseitigen.

Wichtigster Antagonist des Jakobskreuzkrautes: Die Raupen des Blutbären sorgen für Kahlfraß (Fotos: NABU Heidekreis)
Wichtigster Antagonist des Jakobskreuzkrautes: Die Raupen des Blutbären sorgen für Kahlfraß (Fotos: NABU Heidekreis)